Rede von Micha Brumlik 26.02.2019
Im folgenden ist die Rede von Micha Brumlik im Kaisersaal der Stadt Frankfurt dokumentiert, gehalten am 26.02.2019. Innerhalb der Rede wird unteranderem die Bedeutung der Professur „Erziehung nach Auschwitz in der Migrationsgesellschaft“ thematsiert und die Uni aufgefordert sich zu dieser zu bekennen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zu den Gründern und ersten Mitgliedern der vor nunmehr siebzig Jahren ins Leben gerufenen Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gehörten drei Professoren der Johann Wolfgang Goethe Universität: Franz Böhm, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Der ordoliberale Volkswirtschaftler Franz Böhm, 1895 in Konstanz geboren, erhielt 1946, nachdem er seiner verfolgte Juden unterstützenden Haltung wegen in den Jahren des Nationalsozialismus vielerlei Bedrängnissen ausgesetzt war, eine Professur in Frankfurt und diente der Goethe Universität in den Jahren 1948 bis 1949 als Rektor. Ein weiteres, führen-des Mitglied der Gesellschaft war Max Horkheimer, der 1949 unter vielen Skrupeln nach Deutschland zu-rückgekehrt war und dieser Universität ebenfalls von 1951-1953 als Rektor diente. Auch Theodor W. A-dorno, ein Freund und langjähriger wissenschaftlicher Weggefährte Horkheimers, war 1949 unter permanen-ten Zweifeln nach Deutschland, nach Frankfurt am Main zurückgekehrt und wurde schon im selben Jahr zum Professor der Johann Wolfgang Goethe Universität ernannt.
Christlich-jüdische Zusammenarbeit, das war für diese drei Männer weniger eine Angelegenheit interreligi-öser oder theologischer Grundlagenforschung als vielmehr ein Bündnis gegen den damals noch immer viru-lenten Antisemitismus. Horkheimer und Adorno selbst, das kann Lesern ihrer „Dialektik der Aufklärung“ nicht verborgen geblieben sein, standen dem christlichen Glauben in der Tradition Sigmund Freuds mindes-tens skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber – sahen sie doch in ihm, wiederum in der Tradition Freuds, eine der Ursachen des Antisemitismus. Gleichwohl fanden sie in Franz Böhm, einem der Mitbe-gründer des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit schon früh ei-nen Mitstreiter. So besuchte Max Horkheimer bereits am 6. Mai 1949 die dritte Sitzung des Ausschusses für religiöse Angelegenheiten der Frankfurter Gesellschaft – ein Treffen, bei dem ihm Franz Böhm sofort das Wort erteilte. Horkheimer brachte sinngemäß vor, dass man in den USA den Antisemitismus für eine Art Krankheit hielt, auf jeden Fall für eine Haltung, die zutiefst unchristlich sei. Horkheimer berichtete zudem vom American Jewish Committee, das darauf setzte, Judenhass durch gemeinsames Lernen, Austausch und Dialog von Juden und Nichtjuden zu überwinden. Auch Theodor W. Adorno wurde nach seiner Rückkehr Mitglied der Frankfurter Gesellschaft und – mehr noch – Mitglied im Erzieherausschuss des Deutschen Ko-ordinierungsrates. Auch in dieser Funktion fasste er spätestens 1951 fasste er die Grundgedanken zu seinem später gehaltenen Rundfunkvortrag „Erziehung nach Auschwitz“, der später im 1966 publizierten Band „Er-ziehung zur Mündigkeit“ gedruckt wurde und bis heute als überholt und wegweisend gilt. Es war somit der so früh und von Anfang an in der Gesellschaft mitwirkende jüdische Remigrant Theodor W. Adorno, der jenen Zielen, die einer Erziehung und Bildung im Hinblick auf den Nationalsozialismus ihre bis heute un-übertroffene Artikulation gegeben hat. Ziel aller Pädagogik, so Adorno, müsse es sein, dass Auschwitz sich nicht wiederhole und – mehr noch: schon alleine die Forderung nach einer Begründung dieses Postulats ver-längere das Unheil, dem es doch zu entgegnen gälte.
Aber was verbirgt sich hinter dem inzwischen inflationär gebrauchten Kürzel „Auschwitz“? Nicht zuletzt eine jüdische Erfahrung: In des überlebenden italienisch-jüdischen Chemikers Primo Levi kristallklarem und nüchternem Bericht über seine Lagerhaft in Auschwitz wird den dort gemachten Erfahrungen absoluter Entwürdigung Rechung getragen; der Ausdruck von der „Würde des Menschen“ bzw. der „Würde des Men-schen“ – er steht am Anfang der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes – gewinnt vor der Kulisse von Auschwitz eine gebieterische und einleuchtende Kraft: „Mensch ist„ so notiert Levi für den 26. Januar 1944, einen Tag vor der Befreiung des Lagers „wer tötet, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als … der grausamste Sadist.“ Unter diesen Bedingungen – so Primo Levi – schwindet dann auch die natürliche Neigung zur Nächstenliebe. Levi fährt fort:“ Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns Nahestehenden : darum ist das Erleben des-sen ein nicht-menschliches, der Tage gekannt hat, da der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding ge-wesen ist.“
Im deutschen Grundgesetz, genauer gesagt dessen Artikel 1, in der die „Würde des Menschen“ als Kriterium aller Gesetzgebung und aller staatlichen Machtausübung fesgelegt wird, hat diese Forderung nach der Unantastbarkeit menschlicher Würde bereits ihren gültigen Ausdruck gefunden.
Dieses aus dem Schock über Auschwitz formulierte Prinzip hat bedeutende historische Wurzeln. Es war die kosmopolitische Philosophie der deutschen Aufklärung, zumal Immanuel Kants, die die nach dem Nationalsozialismus geschaffene deutsche Verfassung, das Grundgesetz wesentlich geprägt hat.
Es war zudem ein ebenfalls zurückgekehrter deutscher Jude, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den von ihm initiierten Frankfurter Auschwitzprozess unter die Devise „Gerichtstag halten über uns selbst“ gestellt hat und mit ihm die freiheits- und menschenfeindliche Traditionen deutscher Kultur über-winden wollte. Dabei war es keineswegs selbstverständlich, dass sich ein erst im KZ inhaftierter, dann in die Emigration vertriebener deutscher Jude knapp zwanzig Jahre nach dem Ende des Mordens zum politi-schen Kollektiv der Deutschen – eben zu „uns“ – bekannte. Doch war er nicht der einzige jüdische Verfas-sungspatriot. Patriotisch handelten in diesem Sinne – um nur einige zu nennen – nicht nur die genannten Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, sondern auch – die Liste ist unvollständig – die Dichterin Hilde Domin und der Theatermann Fritz Kortner sowie die Politiker Herbert Weichmann, Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg, die Bundestagsabgeordnete Jeannette Wolff sowie der nordrhein-westfälische Justizminister Josef Neuberger; Jüdinnen und Juden allesamt, die sich nicht von Hitler vor-schreiben lassen wollten, ob sie Deutsche sind oder nicht. Sie alle haben, mehr oder minder ausdrücklich, für den Aufbau einer demokratischen Kultur und Gesellschaft in Deutschland Unschätzbares geleistet. Die vor siebzig Jahren gegründeten Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit waren ein wesentli-cher Träger dieses demokratischen Neubeginns.
Ihre Geschichte verpflichtet uns, denn: Wir heutigen, die wir von den Anstrengungen Adornos und Bauers, von Hilde Domin und Margarete Susman zehren, können nur noch schwer nachvollziehen, welch seelischen Schmerz die Remigranten in diesem Lande zu erdulden hatten und wie sehr ihnen dabei die eigene Existenz unheimlich wurde, so unheimlich, dass sie sich gelegentlich als Gespenster fühlten:
„Zur Vergeltung“ so schreibt Adorno über die „Schuld des Verschonten“ in der „Negativen Dialektik“ „su-chen ihn Träume heim wie der, dass er seinen gar nicht mehr lebte, sondern 1944 vergast worden wäre, und seine ganze Existenz danach lediglich in der Einbildung führte, Emanation des irren Wunsches eines vor zwanzig Jahren Umgebrachten.“
Doch kann es anlässlich eines immerhin siebzigsten Geburtstages nicht nur darum gehen, des Vergangenen zu gedenken, sondern allemal auch, die Bedeutung eines solchen Geburtstages für die Gegenwart und Zu-kunft, hier, in dieser Stadt, in Frankfurt am Main zu erwägen. Daher: Es war der französische Sozialist Jean Jaures, dem im Jahre 1910, in einer parlamentarische Debatte seinen konservativen Gegenspielern folgendes entgegenhielt:
„Jawohl, meine Herren, auch wir verehren die Vergangenheit. Nicht vergeblich hat die Flamme im Herd so vieler menschlicher Generationen gebrannt und gefunkelt; aber wir, die wir nicht stillstehen, die wir für ein neues Ideal kämpfen, wir sind die wahren Erben der Herde unserer Vorfahren: wir haben daraus ihre Flam-me geholt, ihr habt nur die Asche bewahrt.“
Wie, so möchte ich heute fragen, ist es um die Tradition der Frankfurter Schule und ihrer antisemitismuskri-tischen Impulse in Frankfurt und zumal seiner Universität bestellt? Gewiss: es gibt den hoch renommierten Frankfurter Adorno Preis, und – ja – die regelmäßig gehaltenen Adorno Vorlesungen der Universität, mehr noch: –ein Platz der Universität ist nach Adorno benannt, sein Schreibtisch steht als Denkmal unter einem Glassturz auf dem Universitätsgelände, eine Straße ist nach Max Horkheimer benannt, die Universität ver-treibt in ihrem Shops sogar Kaffeebecher mit Adornos Antlitz. Indes: könnte es sein, dass all dies nur eine Weise ist, die Asche dieser Tradition zu bewahren.
Lassen Sie mich daher auch in eigener Sache sprechen: Vor Jahren durfte ich gemeinsam mit dem Kollegen Professor Ortmeyer die von der Universität geförderte Forschungsstelle NS Pädagogik ins Leben rufen, die Kollege Ortmeyer, der nun in den Ruhestand geht, als Professor dieser Universität ungewöhnlich erfolg-reich und wissenschaftlich produktiv geleitet hat. Nun muss ich zu meiner Überraschung und Empörung zur Kenntnis nehmen, dass der Fachbereich Erziehungswissenschaft und die Universitätsspitze nicht bereit sind, diese Professur erneut im Geiste Adornos zu denominieren. Ursprünglich war geplant, diese Professur, die Nachfolgeprofessur Ortmeyer mit dem Titel „Erziehung nach Auschwitz in der Migrationsgesellschaft“ aus-zuschreiben, nun hat der Fachbereich – angeblich auf Weisung der Universitätsspitze – beschlossen, die Professur so auszuschreiben: „Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Er-ziehung, Politik und Gesellschaft unter Bedingungen gesellschaftlicher Modernisierung und sozialen Wan-
dels“, eine Professur, die – das ist durchaus einzuräumen – die Leitung der Forschungsstelle NS Pädagogik beinhalten sollte und sich auch dem Thema einer „Erziehung nach Auschwitz heute“ widmen sollte. Das ist durchaus anerkennenswert und thematisch von nicht zu unterschätzender Bedeutung, indes: Ortmeyers und meiner Überzeugung nach sollte diese Professur vor allem und schwerpunktmässig der zeitgeschichtlichen, NS Zeit und Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass umfassenden Bildung in Grundlagenforschung und Didaktik gelten – und nicht, einer doch im weitesten Sinne erziehungssoziologischen Fragestellung. Und zwar nicht nur aus Gründen der Pietät gegenüber Adorno, Horkheimer aber auch Franz Böhm gegen-über, sondern vor allem deshalb, weil die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in einem Ausmaß von Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie und Fremdenhass umgetrieben wird, wie seit ihrer Grün-dung nicht mehr – ich deute die Wahlerfolge rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien nur an und erwähne lediglich auch das rassistische Mobben von Schulkindern untereinander, das in einigen Fällen sogar bis zum Suizid führt. Das sind – in aller Kürze gesagt – die aktuellen Probleme, auf die eine „Erziehung nach Auschwitz“ im Sinne Theodor W. Adornos, eines der ersten Mitglieder der Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu antworten hätte.. Franz Böhm, der Gründer der Frankfurter Ge-sellschaft hätte das nicht anders gesehen: Ging es ihm doch stets um eine aktive Auseinandersetzung mit allen Formen des Antisemitismus bis hin zu Vorstufen dessen, was heute als „israelbezogener Antisemitis-mus“ bezeichnet wird und sich in Böhms Engagement für zionistische Organisationen und den damals noch jungen Staat Israel ausdrückte.
Ich hätte, meine Damen und Herren Ihnen heute auch einen Vortrag über neueste Forschungen zum Ausei-nandergehen der Wege von Christentum und rabbinischem Judentum in der späten Antike präsentieren kön-nen – Forschungen, die belegen, dass Judentum und Christentum nicht in einem Mutter-Tochter, sondern in einem geschwisterlichen Verhältnis zueinander stehen, indes: das wäre vor dem Hintergrund eines neuen, grassierenden Antisemitismus bestenfalls eine Schönwetter-, eine Alibiveranstaltung gewesen.
Meine Damen und Herren: Wir sind hier im Frankfurter Kaisersaal, daher: Der Respekt vor den historischen Akteuren in dieser Stadt, Frankfurt am Main und im besonderen vor jenen Männern, die dieser Stadt und ihrer Universität ihr ganz besonderes und unverwechselbares Gepräge gegeben haben, Franz Böhm, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ließen jedenfalls mir keine andere Wahl als auf sie zu sprechen zu kommen. Daher darf ich – auch wenn es evtl. pathetisch wirkt – von diesem, historischen Ort aus an die Spitze der Frankfurter Universität und den Fachbereich Erziehungswissenschaften appellieren, die wieder zu besetzende Professur nun doch – wie ursprünglich geplant – unter der Denomination „Erziehung nach Auschwitz in der Migrationsgesellschaft“ auszuschreiben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Stadt-gesellschaft dies den Gründern der Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit schul-den.
Micha Brumlik, 26. Februar 2019